Sie nannten ihn „Butzi“

Hermann Budzislawski – Biographie eines prominenten Journalisten der Linken

Von Holger Becker

Wer an der Leipziger Karl-Marx-Universität Journalistik studiert hat, kennt im Normalfall den Namen Budzislawski. Die älteren Jahrgänge haben seinen Träger selbst erlebt, die jüngeren hörten Professoren und Assistenten von ihm sprechen. Sie nannten ihn „Butzi“ oder auch „Butschi“. Bei manchen leuchteten dann die Augen, bei anderen nicht. 

Hermann Budzislawski (1901 bis 1978) war ab 1954 der erste Dekan der neugegründeten Fakultät für Journalistik, der einzigen Ausbildungsstätte der DDR für Journalisten auf Hochschulniveau. Diese leitete er bis 1962 und gab ihr Prägungen, die vermutlich darüber hinaus wirkten. Ein Leipziger Paradox war dieses: Der Lehrkörper bewegte sich fast gänzlich in ziemlicher Ferne zur nicht kritisierbaren Praxis in Presse, Funk und Fernsehen des Landes und rüstete doch seine Studenten mit einem Handwerkszeug aus, das sich sehen lassen konnte. Wer wollte, konnte seinen Schreibstil aufs beste schulen und in die  Methodik journalistischen Arbeitens eindringen, zum Beispiel Nützliches lernen über die journalistischen Genres, ganz unbeschadet manch ideologisch motivierter Idiotismen im Studienplan. 

Das Institut für Publizistik und Zeitungswissenschaft an der Karl-Marx-Universität Leipzig 1953. Hermann Budzislawski lehrte in dem Haus in der Tieckstraße internationales Pressewesen und wurde 1954 erster Dekan der neugegründeten Fakultät für Journalistik
Foto: ADN-Zentralbild/ Illner. Bundesarchiv, Bild 183-18814-0004 / Illner / CC-BY-SA 3.0 

Der im britischen Newcastle lehrende Historiker Daniel Siemens macht nun Budzislawski einem größeren zeitgenössischen Publikum bekannt. Der Lebensweg seines Protagonisten, Sohn eines jüdischen Fleischermeisters aus dem Berliner Wedding, war durchaus verschlungen. Schon als Gymnasiast politisiert, gehörte er in der Novemberrevolution 1918/19 zu den Gründern eines Schülerrates. Sein Studium schloß er ab mit einer Promotion zum Thema „Eugenik“, in der er über den ökonomischen Nutzen der „Rassenhygiene“ nachdachte. Das ist heute nicht mehr vorstellbar nach den furchtbaren Nazi-Verbrechen der „Ausmerzung“ „unwerten Lebens“. Damals lag es im Trend der Wissenschaftsmoden. Seinen schließlichen Einstieg in die Medienwelt schaffte Budzislawski  1925 als Redakteur der „Industrial and Trade Review for India“. Die Zeitschrift gehörte zum „Imperium“ des „Roten Pressezaren“ Willi Münzenberg (1889 bis 1940) und war ein Sprachrohr der von diesem genialen Organisator ins Leben gerufenen „Liga gegen koloniale Unterdrückung“. Auf Münzenberg, der seinen Weg wieder kreuzen sollte, kommen wir noch zu sprechen.

Daniel Siemens: Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert. Aufbau-Verlag, Berlin 2022, 413. Seiten, Illustr., 28 Euro

Die Höhepunkte des publizistischen Wirkens von Budzislawski, der bis 1933 zumindest formell der SPD angehörte, liegen in der Zeit seines Exils in der Schweiz, der Tschechoslowakei, Frankreich und schließlich den USA. Es gelang ihm, die Leitung der “Neuen Weltbühne“ zu erobern, die sich als Nachfolgeblatt der berühmten, von Siegfried Jacobsohn (1881 bis 1926) gegründeten und von Kurt Tucholsky (1890 bis 1935)  und Carl von Ossietzky (1889 bis 1938) redigierten Berliner „Weltbühne“ verstand. In New York schließlich schaffte er es Berater, Mitarbeiter und Ghostwriter der äußerst einflußreichen Journalistin Dorothy Thompson (1893 bis 1961) zu werden, deren politische Kolumnen Zeitungen in allen Ecken der USA zwischen Atlantik und Pazifik druckten.

Budzislawski, der mit Schriftstellern wie Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger zusammenarbeitete, der sich äußerlich sehr bürgerlich hielt und in der DDR sogar als ausgefuchster Antiquitätensammler betätigte, war also kein Durchschnittsjournalist. Aber geschichtlich steht er im Schatten der erratischen Gestalt des Willi Münzenberg, dessen Aktivitäten politisch nicht nur den Planeten umspannten, sondern auch ein breites Spektrum von Innovationen der Medienwelt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfaßten – von der Illustrierten bis hin zur Filmproduktion. Münzenbergs Leistungen als großer Ermöglicher, mit einem nichtdoktrinären, unterhaltsamen Journalismus und zukunftsweisenden Kunstwerken tatsächlich Massen anzusprechen, hätten eigentlich unmittelbar als Vorbild für die Medienarbeit der Linken in Deutschland und darüber hinaus dienen müssen. Auch Budzislawski hat beigetragen, daß es dazu nicht kam.

Am selben Strang zogen beide im Exil als Verfechter jener „Volksfrontpolitik“, der sich die kommunistische Bewegung seit 1935 verschrieb. Mit Sozialisten, Sozialdemokraten und linksbürgerlichen Kräften sollte ein großes Bündnis im Kampf gegen den Hitlerfaschismus gebildet werden. Münzenberg wirkte dafür als spiritus rector im Pariser „Lutetia-Kreis“, Budzislawski focht dafür in der „Neuen Weltbühne“. Doch Sowjetführer Josef Stalin (1878 bis 1953) machte die Bemühungen zunichte mit monströsen Prozessen gegen die alte Garde der Bolschewiki und schließlich dem Pakt mit Hitlerdeutschland vom August 1939. Die deutschen Kommunisten wurden eingeschworen, dies alles bedingungslos gutzuheißen. 

Wie wir der Darstellung von Daniel Siemens entnehmen, paßte sich Budzislawski, der nach eigener Darstellung der Exil-KPD nicht angehörte, in seiner Publizistik diesem Kurs geschmeidig an. Münzenberg hingegen sah darin die vollständige Abkehr vom Prinzip des Internationalismus, kam seinem Ausschluß aus der KPD mit einer eigenen Austrittserklärung zuvor und schleuderte schließlich den Fluch in die Öffentlichkeit: „Stalin, der Verräter bist Du!“. 

Willi Münzenberg

Hermann Budzislawski und auch dessen Frau Johanna (1901 bis 1971) denunzierten Münzenberg im Laufe der Zeit mehrmals, Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes, ja sogar der Gestapo gewesen zu sein. Die haltlosen Anschuldigungen begannen laut Siemens bereits 1939 in einem Internierungslager in der Normandie, in dem deutsche Emigranten nach Deutschlands Überfall auf Polen gefangengehalten wurden. Münzenberg lebte da noch, hatte aber bereits mit Moskau gebrochen. 

Ob Münzenberg 1940 auf der Flucht vor deutschen Truppen Suizid beging, ob er Opfer von Stalin-Agenten wurde oder als weltweit wirksamster Anti-Nazi-Propagandist von Gestapo-Mördern umgebracht wurde, ist bis heute nicht geklärt. Daß er insbesondere in  der DDR, aber auch anderen Ländern, die dem sowjetischen Einfluß unterlagen, über Jahrzehnte als Unperson behandelt wurde, geht weit über persönliche Tragik hinaus. Die Leipziger Journalistikstudenten hätten von ihm hören müssen. Oder lesen. Zum Beispiel in der DDR-“Weltbühne“, die Budzislawski von 1967 bis 1971 leitete.

Siemens´ Darstellung fußt auf reichhaltigem Material, ist flüssig geschrieben und reicht über Budzislawskis Tod hinaus, wobei es überwiegend um Verzwicktheiten geht. So spielt der Nachwendestreit um die Rechte an der „Weltbühne“, in den wir uns hier gar nicht vertiefen wollen, seine Rolle. Oder auch die Affäre um die „Turm-Villa“ in Buckow, Budzislawskis „Wochenendhaus“, das die Ex-Frau seines Enkels vor dessen Ausreise in den Westen an einen Rechtsanwalt namens Gregor Gysi verkaufte. Ein MfS-Offizier notierte damals in seinem Diensttagebuch die Frage: „Ist Haus schon verkauft an `Notar´“…? Laut mehreren Gerichtsurteilen sind der IM „Notar“ und besagter Anwalt nicht zwangsläufig identisch.

Zum vergleichenden Lesen empfohlen: Harald Wessel: Münzenbergs Ende. Dietz-Verlag Berlin, Berlin 1991. 420 Seiten, Illustr., antiquarisch zwischen 7 und 30 Euro

2022