Wer hat Fuchs den Kranz gestohlen?

Legende am Ende: der Dissident, der Krebs und die Stasi (25. Mai 1999)

Von Holger Becker

Es ist ehrenhaft, wenn sich bessernde Kenntnis dazu führt, daß Zeitungen Thesen revidieren, die sie selbst mit verbreitet haben. So meldete am Wochenende die Frankfurter Allgemeine Zeitung Zweifel an, ob beim jüngst von ihr breitgetretenen angeblichen Stasiskandal denn alles seine Richtigkeit habe: Fast alle Blätter des Landes hatten die Märtyrer-Geschichte gebracht, nach der dem »DDR-Dissidenten« Jürgen Fuchs kein »gottgewolltes« (Wolf Biermann) Ende beschieden gewesen sei. Vielmehr hätten fiese MfSler den Jürgen Fuchs in seiner Haft mit »Radioaktivität« oder mit »Strahlen« oder mit beidem verseucht, um so ein Krebsleiden zu erzeugen. Als Belege für die Richtigkeit dieser Behauptung mußten eine »mysteriöse Röntgenkanone« (Der Spiegel), die im Geraer Gefängnis gefunden worden sei, und die Tatsache herhalten, daß Fuchs tatsächlich an Krebs gestorben ist. Außerdem gab’s da eine »Toxdat« genannte Liste, auf der Kriminalistikwissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität allerhand Möglichkeiten aufgezählt hatten, wie Menschen durch Gifte und radioaktive Substanzen vom Leben zum Tode befördert werden können. Ein Freund des Märtyrerkranzträgers Fuchs stellte angesichts dieser unglaublich dichten Indizienkette sogar Strafanzeige wegen Mordes.

Das Röntgengerät, so klärt die FAZ ihre Leser nun auf, stamme aus Beständen der DDR-Postzollfahndung und sei wohl primär »zum Durchleuchten von Päckchen« geeignet. Für den »Beweis eines Strahlenangriffs« fehle selbst die »hypothetische Spur einer Tatwaffe«. Auch die »Toxdat«-Liste führe »nicht wirklich weiter«. Wie soll sie auch, da sie nichts weiter als eine kriminalwissenschaftliche Handreichung für die Aufklärung von Verbrechen darstellte.

Aber warum ist die These vom Fuchs-Mord als Variante real existierenden Irrsinns überhaupt in den öffentlichen Umlauf gekommen? Autoren und Redakteure hätten sich zum Zwecke des Vergleiches über die Praxis in westlichen Haftanstalten erkundigen können, zum Beispiel über die in Berlin-Moabit. Dort war es in den 70er und 80er Jahren gang und gäbe, die Habe einer speziellen Gruppe von Gefangenen regelmäßig zu durchleuchten. Jedes Päckchen, das sie bekamen, wurde nicht nur geöffnet, sondern auch noch geröntgt. Mehrmals täglich ging’s in die »Durchleuchtungskammer«. Das führte so weit, daß sich schließlich auch die Wärter aus Angst um die eigene Gesundheit bei der Gewerkschaft beschwerten.

Die Gruselgeschichte um Fuchs, Krebs und die Stasi, die im Osten außer nostalgischen Liebhabern von Blues-Messen und ähnlichem Firlefanz dissidierender Dilettanten ohnehin niemand glaubt, mußte aber sein. Hatten die Blätter Gründe dafür? Sicher. Doch darüber ist soviel zu sagen, wie es der Biochemiker Erwin Chargaff in anderem Zusammenhang getan hat: »Der Verdacht ist so naheliegend, das es sich nicht lohnt, ihn auszusprechen.«