Ahnungslos zum Ararat

Das 11. Plenum – Anfang vom Ende der DDR? Aus Harald Wessels Erinnerungen an den Herbst 1965 (Folge 16)

Kurt Turba „nicht tragbar“ – aus dem „Beschluß“ des ZK-Sekretariats vom 27. Januar 1966
Quelle: Archiv Wessel

Seit ich im Sommer 1952 meine berufliche Arbeit in Berlin aufgenommen hatte, war ich alljährlich im Januar mit nach Friedrichsfelde gegangen. Am 16. Januar 1966 fehlte ich, was nicht weiter auffiel. Auffällig indes war die Abwesenheit Walter Ulbrichts. Seit dem Abschluß der 11. Tagung der ZK der SED am 18. Dezember 1965 fragte man sich innerhalb der SED nicht ohne eine gewisse Besorgnis: „Was ist mit Ulbricht los?“

Da dem amtierenden „Ersatzparteichef“ Erich: Honecker solche Besorgnis nicht verborgen blieb, hatte er am 6. Januar 1966 auf der Titelseite von „Neues Deutschland“ eine (vermutlich von ihm selbst formulierte) Meldung drucken lassen: „Walter Ulbricht im Erholungsurlaub/Berlin (ADN). Auf Grund von Anfragen aus der Bevölkerung wird seitens des Zentralkomitees mitgeteilt, daß die Gesundheit.des Ersten Sekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Walter Ulbricht, wiederhergestellt ist. Er befindet sich bis Mitte Januar im Erholungsurlaub.“

Schön auffällig: Meldung im ND vom 6. Januar 1966, Seite 1

Das war eher ein Mysterium als eine Meldung; denn eine Nachricht, derzufolge Ulbrichts Gesundheit „wiederherstellungsbedürftig“ gewesen wäre, hatte es nie gegeben. Und „Erholungsurlaub“ „bis Mitte Januar“ ließ auf Ulbrichts Anwesenheit am 16. Januar 1966 in Friedrichsfelde schließen. Tatsächlich aber trat der von Leonid Breshnew hart bedrängte SED-Chef (und DDR-Staatschef!) erst am 27. Januar 1966 wieder öffentlich in Erscheinung: Er empfing (laut ND vom 28. Januar 1966) die Botschafter Bulgariens und Rumäniens. De facto war die unbeholfen anmutende „Meldung“ vom 6. Januar 1966 geeignet, dem Publikum einen Ulbricht „vorzuführen“, auf den kaum noch Verlaß ist.

Genau an dem Tag, an dem die mysteriöse „Information“ über Ulbrichts Befinden im ND stand, am 6. Januar 1966 also, ließ Honecker Turba zu dem (bereits erwähnten) beschwichtigenden Vieraugengespräch rufen. Dessen Fazit teilte Turba mir (wie gesagt) telefonisch mit: “Der Kelch ist noch einmal an uns vorübergegangen.“ Mit Töchterchen fuhr ich zum Winterurlaub nach Augustusburg.

Jetzt, dreißig Jahre später, im Winter 1995/96, kommt mir der Wortlaut dessen unter die Augen, was Honecker Turba am 6. Januar 1966 gesagt hat. Das bedarf einer Erklärung: Als Walter Ulbricht im Sommer 1963 den „Forum“-Chefredakteur Turba in einem Vieraugengespräch mit einer „völlig neuen Jugendpolitik“ betraute, schrieb der erstaunte Journalist Ulbrichts Ausführungen im Notizbuch wörtlich mit und diktierte sie unmittelbar nach dem Vieraugengespräch seiner Sekretärin. Sie tippte Ulbrichts „Eröffnungen“ ins Reine – mit ein paar Durchschlägen, mit Datum (des Vieraugengesprächs), aber ohne die Namen der beiden Gesprächspartner.

Diese penible Methode behielt Turba bei – bis zu seinem Sturz am 27. Januar 1966. Also wurden auch Honeckers „Eröffnungen“ vom 6. Januar 1966 festgehalten und ins Reine getippt. Doch im Unterschied zu allen früheren Vieraugengesprächen (zumeist mit Ulbricht, aber mindestens einmal auch mit Honecker) kam Turba nicht mehr dazu, die Kopien intern zu verteilen – an Heinz Nahke, gelegentlich an Horst Schumann und regelmäßig an mich. Erst jetzt (bei gemeinsamer Verifikation meiner Erinnerungsserie) stellte sich heraus, daß wenigstens ein Exemplar der Reinschrift vom 6. Januar 1966 erhalten blieb: das private Exemplar Kurt Turbas.

Doch bevor wir den Wortlaut der Honecker-Eröffnungen vom 6. Januar 1966 näher betrachten, ist ein Ausflug ins gespenstische MINIWAHR („Ministerium für Wahrheit“) des George Orwell angebracht. Ob Honecker den „Zukunftsroman“ „1984“ je gelesen hat, weiß ich nicht. Doch die „Kunst“, Archivalien politisch zu instrumentalisieren, beherrschte der Saarländer durchaus. Seine eigene politische Nachkriegskarriere stand bis zuletzt (bis zu Mielkes Drohung mit dem „Roten Koffer“ 1989) unter der bangen Frage: „Was haben `die Freunde´ (Moskaus Geheimdienst) 1945/46 in erbeuteten. Gestapo-Akten über mich gefunden und was nicht?“ Wie‘ sollte er da Skrupel gehabt haben, Archivalien zu vernichten bzw. zu Erpressungszwecken bereitzuhalten?

Honecker im Aktenkeller: „… wir haben alles über Deine Beziehung zu mir verschwinden lassen.“ Gebäude des Zentralkomitees der SED im Jahr 1962
Foto (Panorama): ADN-Zentralbild/ Eva Brüggmann, Bundesarchiv, Bild 183-91811-0005 / CC-BY-SA 3.0

Kurz vor der Sitzung des ZK-Sekretariats am 27. Januar 1966, auf der Turba (statutenwidrig!) für abgesetzt erklärt wurde, hat Honecker den jugendpolitischen Erneuerer Turba beiseite genommen und ihm zugeflüstert: „Ich war mit Fritz Müller im Aktenkeller, und wir haben alles über meine Beziehung zu dir verschwinden lassen! Was sollten sonst die Freunde über mich denken“! Fritz Müller war der Kaderchef im Apparat des ZK der SED. Im Aktenkeller des ZK der SED befanden sich Personal-Unterlagen von Honecker und Turba auch aus den frühen fünfziger Jahren, als Turba im FDJ-Zentralrat unmittelbar unter Honecker gearbeitet hatte. Hätten sie damals (nur mal angenommen) zusammen zwei Pferde gestohlen und das „Vorkommnis“ wäre seinerzeit untersucht worden, dann hätte es dafür in Müllers Keller Belege gegeben, die zwischen dem 6. und 27. Januar 1966 aussortiert worden wären, damit „die Freunde“ (was hatten Moskauer Geheimdienstleute überhaupt im SED-Kaderakten-Keller zu suchen?!) nichts Schlechtes über Honecker denken konnten!

Wie wir seit 1991 wissen (vgl. ND vom 30. Mai 1991, Seite 10), hat Honecker nach Walter Ulbrichts Sturz 1971 „unzählige historische Dokumente“ der Ära Ulbricht verschwinden lassen. Auch Kurt Turba stellte, als er 1991 ihn betreffende SED-Akten im ehemaligen Zentralen Parteiarchiv durchsah, deutliche Bestandslücken fest, die nur als Ergebnis „orwellisierender“ „Säuberungsversuche“ zu verstehen waren. Doch auch in den „gigantischen“ Aktenbergen des MfS müssen für die Jahre 1963 bis 1965 „Säuberungen“ stattgefunden haben. Wie sonst wäre der „große weiße Fleck“ (bzw. das „schwarze Loch“) zu erklären, der (bzw. das) sich genau dort befindet, wo Armin Mitter/Stefan Wolle in ihrem dicken Buch „Untergang auf Raten. Unbekannte Kapitel der DDR-Geschichte“ (München 1993) Kurt Tubas Jugendpolitik und deren Ende hätten darstellen müssen.

„Nehmt euch zu Herzen“, sagte Honecker am 6. Januar 1966 zu Turba, „was auf dem Plenum des ZK gesagt wurde; ihr habt jetzt den Rücken frei, nun kämpft ordentlich voran!“ Mit dieser Feststellung war „der Kelch“ nur scheinbar an uns vorübergegangen. Denn zuvor hatte Honecker von Turba einen Beschlußentwurf gefordert, „wie die Aufgaben und die Zusammensetzung“ der Jugendkommission geändert werden sollten. Turba sollte Mitglieder der Jugendkommission opfern, wozu er nicht bereit war. Turba sollte die Politik der Jugendkommission restaurativ ändern, wozu die meisten Mitglieder der 1963 gebildeten Jugendkommission nicht bereit waren. Hätte ich das damals genau lesen können, wäre ich kaum nach Augustusburg gefahren – und gewiß nicht nach Sowjetarmenien, an die sowjetisch-türkische Grenze, zum Fuß des majestätischen Ararat.

Die Entscheidung, Turba abzusetzen und damit Ulbrichts Jugendkommission „auf kaltem Wege“ aufzulösen, muß kurz vor dem 17. Januar 1966 gefallen sein. Während ich nämlich noch ahnungslos in Augustusburg und Umgebung Winterlandschaft genoß, wurden in Berlin alle Unterlagen für eine Wessel-Dienstreise vom 24. Januar bis 1. Februar 1966 nach Armenien beschafft: ein am 18. Januar 1966 vom DDR-Außenministerium ausgestelltes Visum („Gültig für eine einmalige Ausreise nach UdSSR bis 6. Februar 1966“), zwei von der Interflug am 17. Januar 1966 ausgefertigte Tickets mit OK für den 24. Januar 1966 sowie ein für zwei Personen berechnete Rubel-Betrag. Das alles fand ich am Sonnabend, dem 22. Januar 1966, in der ND-Redaktion an der Berliner Mauerstraße vor, als ich aus Augustusburg zurückgekehrt war. Ich wurde terminlich überrumpelt.

Am Montag, dem 24. Januar 1966, traf pünktlich zum Abflug um 7.15 Uhr „der zweite Mann“ aus Finsterwalde in Schönefeld ein: Hans-Georg Henke, Funktionär in der Krankenhausverwaltung, hatte 1962 für den schwerverletzten und bewußtlosen Sowjetmajor Iwan Alexejewitsch Morosow Blut einer seltenen Blutgruppe gespendet. Henke und Morosow sollten sich nun „urplötzlich“ und „ganz eilig“ in Armenien als „Blutsbrüder“ treffen, damit Boris Orlow von der „Iswestija“ und ich für „Neues Deutschland“ über das „Blutsbrüder“-Treffen eine Reportage schreiben konnten. Zwar war das Projekt ein Jahr zuvor (zum 20. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus – 8. Mai 1965) schon einmal erwogen, aber verworfen worden, weil die Illustrierte „Quick“ den lieben Hans-Georg Henke als jenen „Heulenden Flakhelfer“ vom 1. Mai 1945 „geoutet“ hatte, dessen Foto nach dem Krieg um die Welt gegangen war. * Doch nun gab es keine Bedenken mehr. Jetzt sollte die Reportage ohne erkennbaren Anlaß geschrieben werden. Und nun sollte ausgerechnet ich (ein auf dem 11. Plenum scharf kritisierter Autor) Zeuge der „Blutsbrüderschaft“ werden.

Das eigentliche „blutsbrüderlicher“ Treffen am 25. Januar 1966 im Moskauer ND-Büro. Von links: Sowjetmajor Iwan Alexejewitsch Morosow, Hans-Georg Henke, Iswestija-Redakteur Boris Orlow, der Moskauer ND-Korrespondent Werner Goldstein und Harald Wessel (Hinterkopfansicht)
Quelle: Archiv Wessel

Mit Sicherheit verdanke ich diese, meine erste Reise in die UdSSR vom 24. Januar bis 1. Februar 1966 dem KGB – arglos, unwissentlich und ahnungslos, versteht sich. Es war eine hektische, anstrengende, aber sehr schöne Reise, die nur einen einzigen Nachteil hatte: Sie führte mich just in dem Moment unerreichbar weit von Berlin fort, in dem mein Freund Kurt Turba in ärgste Bedrängnis geriet und meinen Beistand dringender denn je benötigt hätte. Doch diese Synchronizität wurde uns erst ein Vierteljahrhundert später bewußt, als Turba endlich den dürren Absetzungsbeschluß vom 27. Januar 1966 schwarz auf weiß in den Händen hielt und ich die „Urkunde“ danebenlegte, die man mir nach dem Treffen in Leninakan (Alexandropol) ausgehändigt hatte.

Es war so, als habe ein ganz mächtiger Mann am 15./16. Januar 1966 seine konspirativen Truppen angewiesen: „Am 27. Januar 1966 muß dieser Turba-Freund Wessel ganz weit fort sein von Berlin, am besten in Wladiwostok.“ – „Wladiwostok ist nicht mehr zu schaffen? Dann wenigstens Wladikawkas! Haha!“ Und so geschah es: Dieweil Turba in Berlin geschaßt wurde, befand ich mich in unerreichbarer Ferne, in einem Jeep auf einer über 2000 Meter hohen Paßstraße, auf dem Weg vom Fuß des Ararat in die (in einem sonst gesperrten „Sondergebiet“ liegende) Grenzgarnisonsstadt Leninakan, wo Major Morosow erst tags darauf eintraf, nachdem das „Treffen der Blutsbrüder“ eigentlich schon am 25. Januar 1966 in Moskau stattgefunden hatte… Daß der „ganz mächtige“ „Reiseveranstalter“ mächtiger gewesen sein muß als Honecker, leuchtet ein. Zufälligerweise saß Pjotr A. Abrassimow, Moskaus langjähriger Botschafter in Ostberlin, am 24. Januar 1966 in eben der Maschine, die Henke und mich nach Moskau brachte. Und zufälligerweise war Abrassimow am Ende seiner Karriere Leiter des sowjetischen Reisebüros.

Wiederum zufälligerweise hatte mich am 22. Januar 1966 in der ND-Redaktion die Bitte der „Komsomolskaja Prawda“ erreicht, diesem Organ des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol einen Artikel über die Jugendpolitik der DDR zu schreiben. Also verfaßte ich am Sonntag, dem 23. Januar 1966, den gewünschten Aufsatz – statt Eberhard Heinrich zu besuchen und/oder Kurt Turba. Mein Artikel versuchte, sowjetischen Lesern einige Grundsätze des Jugendkommuniqués „Der Jugend Vertrauen und Verantwortung“ von 1963 zu vermitteln. Die Komsomolka hat ihn nie veröffentlicht. Beim Schreiben dieses Aufsatzes war mir übrigens erstmalig ziemlich klar geworden, wie grundverschieden (wenn nicht sogar gegensätzlich!) die Traditionen der Jugendbewegung in Deutschland und in Rußland (bzw. Sowjetrußland und der UdSSR) gewesen sind.

Harald Wessels Reportage vom Trip weitweg nach Armenien im ND vom 13. Februar 1966

Die Wandervogel-Bewegung vor und die „Verlorene Generation“ nach dem Ersten Weltkrieg waren weitgehend „deutsche Unikate“. Auch die politischen Autonomiebestrebungen der deutschen Arbeiterjugendbewegung vor und nach dem Ersten Weltkrieg waren sowjetischen Komsomolzen schwer verständlich. Willi Münzenbergs Versuche, die Kommunistische Jugendinternationale (KJI) relativ unabhängig von der Kommunistischen Internationale (KI, Komintern) zu halten, quittierten sowjetische Komintern-Funktionäre 1920/21 mit Kopfschütteln und entschiedener politischer Ablehnung. Münzenberg wurde (teils mit verdeckten Methoden) in der KJI isoliert und 1921 „abgewählt“. Die Leitung der KJI übernahm ein Komsomol-Funktionär. Die KJI-Exekutive wurde von Berlin nach Moskau verlegt. Fortan verlor die KJI mehr und mehr jene relativ große Resonanz, die sie bis 1921 (unter Münzenbergs Leitung) weltweit besessen hatte.

Daß die sowjetische Jugend für Stalin nichts weiter war als „Kampfreserve der Partei“, versteht sich. Daß aber auch der „Reformer“ Chruschtschow im fachlich gut ausgebildeten Teil der sowjetischen Jugend keinen soziologisch herausragenden Adressaten, seiner Reformversuche sah, ist vor allem mit der jugendpolitischen Tradition Rußlands zu erklären. Statt die „Vorhut“ der Jugend gegen die retardierende Sowjetbürokratie zu mobilisieren, schickte Chruschtschow sie (die „Avantgarde“) buchstäblich in die Wüste, ins kasachische Neuland, wo „großer Heroismus“ zu vergleichsweise kleinen Ernten führte…

Das „Meeting“ in einem großen Kinosaal in dem „Objekt“ der Sowjetarmee an der armenisch-türkischen Grenze am späten Abend des 28. Januar 1966 ist mir vor allem wegen der Kinder in Erinnerung geblieben, die (nahe ihren Eltern – Offiziersfrauen und Offizieren) vor und zwischen den Stuhlreihen auf dem Parkett saßen. Ich sollte eine „Rede der brüderlichen Freundschaft“ halten, sang aber nur ein kurzes Loblied auf die erstaunlich geduldigen und disziplinierten „Kleinsten im Saal“, denen wir, die Erwachsenen, vor allem eines schulden würden: „Frieden, Frieden, Frieden!“ (Großer Beifall!). Mir graut es vor dem Gedanken, daß die damals (multinational zusammengesetzten) „Kleinsten im Saal“ seit 1987/88 zum Beispiel in Berg-Karabach barbarisch aufeinander schießen…

Bericht der „Berliner Zeitung“ vom 12. Februar 1968 über ein Jugendforum zu Konrad Wolfs Film „Ich war neunzehn“, an dem auch Hans-Georg Henke teilnahm. Wolf kam 1945 als Offizier der Roten Armee nach Deutschland

Nächste Folge „…entscheiden die Kader alles“

* Die Illustrierte „Quick“, die in der Bundesrepublik zwischen 1948 und 1992 erschien, hatte im Frühjahr 1965 Hans-Georg Henke als den weinenden kindlichen deutschen Soldaten identifiziert, dessen Foto zu den bekanntesten Bildern aus der Endzeit des Zweiten Weltkrieges werden sollte. Es wurde ungezählte Male in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern abgebildet. Hans-Georg Henke, der in Finsterwalde lebte, bekannte sich dazu, der Junge auf dem Foto zu sein. Es müsse am 30. April 1945 in Groß Lüsewitz bei Rostock aufgenommen worden sein, als er von Soldaten der Roten Armee gefangengenommen worden sei, erzählte Henke noch 1988 in dem Film „Zwei Deutsche“ der renommierten Dokumentaristin Gitta Nickel. Henke blieb bei dieser Darstellung bis zu seinem Tod 1997.

Dem entgegen steht die 2013 aufgekommene Version, das Foto, das zu einer ganzen Serie von Bildern gehört, sei am 29. März 1945 im hessischen Hüttenberg-Rechtenbach entstanden, wo Henke in die Hände des US-Militärs geriet. Aufgenommen habe es der Star-Fotograf des „Life“-Magazins John Florea, berühmt insbesondere für ikonographische Aufnahmen von Marilyn Monroe. Die Hofstatt, in der Henke fotografiert wurde, sei von deren Besitzer eindeutig identifiziert worden. Florea, der 2000 verstarb, hat die als Antikriegsbild berühmt gewordene Fotografie des weinenden Flakhelfers nie für sich reklamiert. Die Zusammenhänge bedürfen also weiterer Aufklärung, zumal Hans-Georg Henke seine Version der Geschichte bei zahlreichen Gelegenheiten vorbrachte, wie zum Beispiel einem Jugendforum mit dem Regissuer Konrad Wolf zu dessen Film „Ich war neunzehn“ im Februar 1968. (H.B.)