Turkestaner und Eunuchen im Hackeschen Hoftheater Berlin

Walter Jens’ Paul-Levi-Stück »Ein Jud aus Hechingen« hatte Premiere (21. Januar 1999)

Von Holger Becker

Dümmer wird nimmer, wer sich »Ein Jud aus Hechingen« von Walter Jens anschaut. Wer dafür die Inszenierung des Hackeschen Hoftheaters Berlin, »zustandegekommen durch eine Förderung des Bundesvorstandes der PDS«, aussucht, sollte sich aber den Originaltext des Kammerspiels besorgen, in dem sich alles um Rosa Luxemburg und ihren Vertrauten Paul Levi dreht. Burkhart Seidemann hat das Sprechstück stark gestrafft. Das ist im Grunde gut so. Denn die Sache gewinnt damit an Spannung. In voller Länge wäre Jens’ historische Collage, die keine Handlung hat, auf dem Theater kaum spielbar, es sei denn von Darstellern, bei denen schon ein Augenaufschlag die Welt bedeutet. Die fiktiven Dialoge, die Paul Levi am Tag seines Todes, dem 10. Februar 1930, im Fieberwahn mit der ermordeten Rosa und zu jener Zeit noch Lebenden wie Mathilde Jacob, Karl Radek, Käthe Kollwitz und Albert Einstein führt, sollten besser als Vorlage für ein Hörspiel dienen.

Was im vorliegenden Fall dem Streichstift zum Opfer fiel, ist allerdings bemerkenswert. Passagen, die von Rosa Luxemburg und den Kohlmeisen handeln, sind weniger betroffen als solche, die den Kernpunkt der Differenz Paul Levis mit der Kommunistischen Internationale behandeln. Levi, der nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts die Führung der jungen KPD übernahm, war ein Gegner putschistischer Taktik. Nach den für die deutsche Arbeiterschaft äußerst verlustreichen Märzkämpfen von 1921 nannte er in seiner Schrift »Unser Weg. Wider den Putschismus« öffentlich die Gründe für das Desaster. Dieser in Hechingen Geborene – die Stadt hat in diesem Jahrhundert zwei Geheimdienstchefs hervorgebracht, Klaus Kinkel und Markus Wolf – kritisierte die Dominanz des parallelen, konspirativ arbeitenden Organisationsapparats, mit dem die Moskauer Zentrale über ihre »Turkestaner« (Levi) den eigenen Willen durchsetzte, ungeachtet der realen Bedingungen in Deutschland. Dafür wurde Levi aus der Partei ausgeschlossen. 1922 trat er wieder der SPD bei, wo er zu den Linken gehörte.

Die Hauptfigur in Walter Jens’ Stück unterhält sich darüber mit Luxemburg und Radek: »Deine Partei ist tot, Rosa Luxemburg: schon viele Jahre lang – und es wird sie nie wieder geben.« Der Satz ist in der Berliner Inszenierung deutlich zu hören, nicht aber die Fortsetzung: »Nie wieder … seit jenen Tagen, da die Sendboten aus Moskau – und ihre Eunuchen bei uns! – hier ihre Putsch-Spielchen trieben: Agitation! Aufstand! Flächenbrand!«

So konnte die bei der Premiere am Dienstagabend versammelte PDS-Prominenz mit Lothar Bisky an der Spitze Gefallen an der Sache finden, zumal Jens’ Stück gegenwärtigen politischen Intentionen entgegenzukommen scheint. Es benennt zwar recht klar Hintergründe und Täter des Mordes an Luxemburg und Liebknecht, versucht aber auch, Paul Levi zum Kronzeugen dafür aufzurufen, daß dessen Freundin von den »eigenen Leuten« eventuell nichts Besseres zu erwarten gehabt hätte als von ihren realen Mördern. Selbstverständlich: Levis Kritik an Moskau atmete Luxemburgs Geist, und »Luxemburgismus« sollte zum schlimmen Vorwurf werden. Doch die Spekulation über Möglichkeiten der Geschichte kann nicht aufgehen.

Historische Tatsache ist eben der Doppelmord vom 15. Januar 1919, bei dem die gerade gegründete KPD ihre national und international am meisten geachteten Führer verlor. Damit haben die Genossen Noske und Ebert sowie der Mörderhauptmann Pabst unbestreitbar Einfluß auf den weiteren Gang der Geschichte genommen, auch auf die Entwicklung der KPD und ihres Verhältnisses zu Moskau.

So what. Wer Paul Levi heute instrumentalisieren will, sollte vorsichtig sein. Walter Jens’ Stück ist interessant. Und die Schauspieler Peter Hladik (Paul Levi) und Bettina Schubert (Rosa Luxemburg/Mathilde Jacob) – alle anderen Akteure präsentieren sich als Stimmen aus dem Off – mühten sich redlich.