Welle der Hysterie
»Monica-Raketen« – mehr als ein Ablenkungsmanöver (24. August 1998)
Von Holger Becker
Am Sonnabend in der Berliner Innenstadt. An allen Zufahrten zur Außenstelle der USA-Botschaft stehen Uniformierte. Maschinenpistolen werden demonstrativ gezeigt. »Wegen der Amis?« – »Genau«, sagt die junge BGS- Beamtin auf die im Vorbeigehen hingeworfene Frage. Ansonsten hat sie damit zu tun, vom Baustellengewirr ohnehin schon genervte Autofahrer abzuweisen: »Nein, hier können Sie nicht durch.«
Die Welle der Hysterie, ausgelöst von den »Ermittlungen« des Unterhosen-McCarthys Kenneth Starr, hat auch Berlin erreicht. PR-Getöse, das den Zusammenhang verwischen soll, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Die offensichtlich geheimdienstlich eingefädelte Lewinsky-Aktion gegen Bill Clinton setzte den US-Präsidenten in totalitärer Weise unter Druck. Der ließ nach seinem Fernsehgeständnis eine kurze Schamfrist verstreichen, dann kam das Startsigal für die Marschflugkörper. Sie waren auf Ziele in Afghanistan und im Sudan programmiert, die der israelische Geheimdienst laut einem Jerusalemer Zeitungsbericht mit ausgesucht haben soll.
Gibt es Beweise, daß ein »internationales terroristisches Netzwerk« des saudischen Multimillionärs bin Laden hinter den Anschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam steckte? Nein, gesichert ist nur: bin Laden war ein Bündnispartner der USA, als die CIA in den 80er Jahren afghanische Gotteskämpfer mit Waffen versorgte. Noch abenteuerlicher wirkt der Angriff auf die Fabrik im Sudan. Beweise für die Behauptung, dort seien Chemiewaffen produziert worden, gibt es bis jetzt ebenfalls nicht.
Es gibt aber die Alarmbereitschaft der US-Streitkräfte und die Ankündigung von US-Außenministerin Madeleine Albright, einen langen »Krieg gegen Terroristen« zu führen. Es gibt die Drohungen islamistischer Kraftmeier mit »blutiger Rache«, die wiederum den Vorwand liefern für martialische Aktionen zum Schutz amerikanischer Einrichtungen rund um den Erdball. Und es gibt die begründete Befürchtung, daß es mit dem Friedensprozeß in Nahost zu Ende sei. Diesen Friedensprozeß hatte die Clinton-Administration ja mal mit angeschoben.
Die Detonation der »Monica«-Raketen war eben mehr als ein Manöver der Ablenkung. Sie signalisiert, daß der freundliche Bill nun an der Kette derer gehen muß, die auf eine brutale Durchsetzung von Weltmachtinteressen setzen. Der Rest der Welt wird dafür einfach in Haftung genommen oder macht freiwillig mit.