Königin der Kriegerherzen

Luisen-Rummel, Stimmungskanonen und die Liebe zum Zaren. Notizen zu Büchern

Von Holger Becker

Es sind im deutschen Sprachraum nicht selten die sogenannten Touristiker, Konditoren und Bierbrauer, die das Bild von der Geschichte prägen. Denn gern, ausführlich und faktisch unausweichlich treiben sie Werbung mit einer halluzinierten „guten alten Zeit“, die stattgefunden haben soll, als Kaiser und Könige, Ritter und Burgfräuleins, Drachen und Dudelsackpfeifer in deutschen Landen ihr Wesen trieben, also vor 1919.

Napoleon empfängt Luise 1807 in Tilsit. Auschnitt aus dem brühmten Gemälde von Nicolas Gosse. Rechts neben Napoleon: Preußenkönig Friedrich Wilhelm III, rechts neben Luise: Zar Alexander I

Im restpreußischen Bundesland Brandenburg zum Beispiel begegnet man deshalb noch auf dem ödesten Dorffest mehr oder weniger hageren Gestalten mit Dreispitz, Schärpe, Krückstock und schnarrender Stimme, die als Wiedergänger des Königs Friedrich II. der Tristesse barocken Glanz verleihen sollen. Ein sächsisches Bier wiederum setzt seinen guten Ruf ganz unnötig mit dem Hinweis aufs Spiel, seine Brauerei sei seit 1905 königlich-sächsischer Hoflieferant gewesen, quasi Getränkefritze jenes Friedrich August III., von dem man vor allem den historisch leider nicht gesicherten Ausspruch bei seiner Abdankung im Revolutionsherbst 1918 kennt: „Machd doch eiern Drägg alleene!“

Und in Berlin, das ja eigentlich kein Deppendorf ist, gibt es neuerdings – oder besser gesagt: wieder – Luisentorten, gewidmet jener Gattin des Preußenherrschers Friedrich Wilhelm III., die 1776 als Pinzessin von Mecklenburg-Strelitz ins Leben trat, dann überwiegend in Darmstadt aufwuchs und deshalb Hessisch babbelte, die 1793 noch in dessen Kronprinzenzeit FW III. heiratete und 1810 in Hohenzieritz bei Neustrelitz starb, nachdem sie zehn Kinder geboren und einen für ihr Land verheerenden Krieg mitangezettelt hatte. Zum 200. Todestag von Preußens einstmals höchstrangiger Hausfrau haben sich selbst die Andenkenläden der Berliner und Potsdamer Museen wieder mit Luisen-Schnulli gefüllt, so wie das schon im 19. Jahrhundert gewesen war, als der ins Nationalistische gesteigerte Luisen-Kult begonnen hatte. Erst die Abschaffung Preußens durch die Siegermächte nach 1945 drehte dem Ganzen den Saft ab.

„Königin der Herzen“ – diese boulevardzeitungskompatible Bezeichnung für die Luise erfand der Frühromantiker August Wilhelm Schlegel. Der war eine ähnliche Stimmungskanone wie der heutige Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner, der neulich ins andere Extrem ausschlug, als er den ex-berliner Rasenathleten Boateng öffentlich-schriftlich ein Arschloch nannte, weil der den Kollegen Ballack auf britischem Boden fußballtypisch getreten und damit an der WM-Teilnahme gehindert hatte.

Daniel Schönpflug: Luise von Preußen. Königin der Herzen. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2010, 286 Seiten, 19.95 Euro

Selbstverständlich sind zum Luisen-Jubiläum auch Bücher erschienen. Eines hantiert mit dem Schlegelschen Luisen-Label: „Luise von Preußen. Königin der Herzen. Eine Biographie“. Es stammt von dem Historiker Daniel Schönpflug, ist aber nicht ganz so wie sein Titel klingt. Schönpflug setzt seine Heldin in ihre Zeit, macht sie als Person durchaus verstehbar. Beispielsweise erfährt der geneigte Leser viel über den damaligen Alltag einer Herrschaftsperson. Er informiert sich über wichtige Stationen ihres Lebens, kann sich ein Bild machen, warum die junge Frau zur Attraktion wurde: Im altjunkerlichen Preußen, mit dem es sichtlich bergab ging, strahlte sie Hoffnung und Zuversicht aus mit ihrer Jugendlichkeit, ihrem Charme, auch dem an bürgerliche Lebensform angenäherten Habitus ihrer königlichen Ehe.

Doch mit Luise ging es wie mit dieser oder jener anderen historischen Persönlichkeit zu entscheidender Zeit: Es trog der Schein. In der Tat beschleunigte sie den Niedergang. Obwohl es nicht ihre Rolle als Königsgattin war, sichtbar politisch zu agieren, wurde sie zur Symbolfigur jener Partei in Preußen, die zum Kriege gegen das napoleonische Frankreich drängte und die in August Wilhelm Schlegel und dessen Bruder Friedrich zwei ihrer ideologischen Leithammel hatte.

Das war durchaus fatal in jener Zeit des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert, in welcher der Kampf darum ging, wie das moderne Europa aussehen sollte. Napoleon Bonaparte, das kann kaum bestritten werden, verkörperte den in jenen Jahren größtmöglichen Fortschritt in Politik, Recht und Staatsverwaltung. Und er hatte keinesfalls vor, Preußen zu überfallen, mit dem Frankreich traditionell und auch aktuell verbündet war. Dem modernden Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hatte er indessen den Garaus gemacht, auf deutschem Boden neue moderne Staatswesen wie das Königreich Westfalen und das Großherzogtum Frankfurt gegründet. Wo sich Bonapartes Herrschaft ausbreitete, war Schluß mit allerhand alten Vorrechten, pflanzte sich das Prinzip auf von der Gleichheit vor dem Gesetz. Dem Kaiser der Franzosen zog das alles den Haß provinzieller Rittergutsbesitzer wie auch der reichsunmittelbaren Adelstitelträger zu, die sich in der preußischen Kriegspartei mehr oder weniger heimlich vereinigten. In ihrer Napoleon-Abscheu waren sich die Zitzewitze und Itzenplitze aus der märkischen Streusandbüchse einig mit dem Reichsfreiherrn vom Stein, der mit der Reichsabschaffung seine Feudalprivilegien verloren hatte.

Einig mit ihnen war auch Luise von Preußen. Bei ihr ging das nicht zuletzt auf den anerzogenen Standesdünkel zurück. Erfüllt von der zeit- und klassentypischen Wahnidee, es gebe unbezweifelbar Menschen mit angeborenen Vorrechten, hatte es sie zu äußerster Empörung gepeitscht, als sich der Aufsteiger Napoleon 1804 selbst in Paris die Kaiserkrone aufsetzte. Außerdem war da noch der Mann, von dem der Berliner Alexanderplatz seinen Namen hat: der russische Zar Alexander I. Der klemmte sich, um es mal so zu sagen, hinter die offensichtlich in ihn verliebte preußische Königin. Der Zar drängte die Preußen zum Krieg gegen die Franzosen. Er suchte ihn, den Zusammenstoß der „erobernden Propaganda der bürgerlichen Revolution … mit den wüsten Eroberungsinstinkten einer asiatischen Despotie“, wie der Historiker Franz Mehring das im Jahre 1906 genannt hat. Das Ganze sollte auf Preußens Kosten geschehen, zumal die Russen selbst zusammen mit den Österreichern 1805 bei Austerlitz schwer was auf die Mütze bekommen hatten.

Und es geschah, obwohl vernünftige Leute wie der Graf Haugwitz und der Baron Hardenberg und sogar der alte General Möllendorf abrieten. Die Kriegspartei, in der es von russischen Konfidenten wimmelte, bekam ihren Krieg. Mit fliegenden Fahnen marschierte das preußische Heer im Oktober 1806 in die Katastrophe der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt. Hatte man über Preußen gesagt, es sei eine Armee mit einem Staat, so zeigte sich gerade am Zustand des Militärs, wie tief der Schwamm im Staatsgebäude saß.

Auf Seiten der Franzosen kämpften zu jener Zeit selbstbewußte Bürger diszipliniert unter Führung erwiesen leistungsfähiger Offiziere und Generale. Sie konnten die neue Tirailleurtaktik anwenden, daß heißt in kleinen Trupps im Gelände verteilt gezielt auf die feindlichen Formationen zu feuern. Die Preußen, insbesondere die Offiziere, wurden ihre leichte Beute. Denn die marschierten ausschließlich in Linien auf, die nur vom Stock der Offiziere zusammengehalten wurden. Zielen war strengstens verboten und mit den preußischen Waffen auch kaum möglich. Kaum einer der Soldaten hätte nicht die erstbeste Gelegenheit zum Weglaufen genutzt. Lebensgefährlich schlecht waren Ausrüstung, Verpflegung und Bewaffnung, nachdem die Armee im Laufe der Jahre und Jahrzehnte und im Rahmen der sogenannten Kompaniewirtschaft vom junkerlichen Offizierskorps regelrecht ausgeplündert worden war. Immer knapper wurden die Röcke, immer kleiner die Rationen der Gemeinen, während die adligen Offiziere ihren halben Hausstand und nicht selten ihre Ehefrauen bzw. Mätressen mit ins Feld nahmen.

Es war eigentlich der Wahnsinn gewesen, unter diesen Voraussetzungen die militärische Auseinandersetzung zu suchen (was König FW III. immerhin auch nicht eigentlich wollte). Es folgte die französische Besetzung Preußens, das Napoleon nun en canaille behandelte. Der Königshof floh bis nach Memel in die äußerste Ecke des Reiches. Luise trat noch einmal in Erscheinung, als sie 1807 versuchte Napoleon zu becircen, gegenüber Preußen doch möglichst gnädig zu sein. Weitgehend erfolglos.

In Schönpflugs Biographie der Luise bleibt vieles von diesen Hintergründen ausgespart. Der entscheidende Punkt im nur 34 Jahre währenden Leben dieser Frau, ihre Rolle als Königin der Kriegerherzen, kommt nur kurz weg und auch so, als wenn es da keine Eindeutigkeit gebe. Es mag die Vorsicht des Historikers sein, die sich da niederschlägt und die uns leider oft dort, wo es um die Wurst ging, unberaten läßt.

Sibylle Wirsing: Die Königin. Luise nach zweihundert Jahren. wjs verlag, Wolf Jobst Siedler jr., Berlin 2010, 326 Seiten, 19.95 Euro

Da ist bei Sibylle Wirsings Buch „Die Königin. Luise nach zweihundert Jahren“ zum Glück ganz anders. Die Autorin nutzt ihren Vorteil als Essayistin und gibt uns vor allem Kunde von wesentlichem. Dazu gehört an erster Stelle die antinapoleonische Militanz der preußischen Königin, die in Berlin und Potsdam ein offenes Geheimnis war und von der auch der französische Geschäftsträger nach Paris berichtete, auch wenn sich die Dame von einer kriegstreiberischen Petition an ihren Ehemann distanzieren mußte. Die Autorin beschreibt eindringlich, wie Luise im September 1806 einen Marsch des ihr zugeeigneten Dragonerregiments quer durch Berlin anführte, in sechsspänniger offener Equipage und gekleidet in der Uniform des Regiments. Sibylle Wirsing: „Vorstellen muß man sie sich in ihrem 31. Lebensjahr als die Stattlichkeit selbst, weiblich und mannhaft, Königin sowohl von Statur, Charakter und Profession als auch durch Gottes Wunsch und Willen, das Profil energisch, das Selbstbewußtsein in höchster Blüte, das Sendungsbewußtsein aber noch darüber hinaus, Siegesgewißheit verkündend und Zweifel, auch den geringsten verpönend, unduldsam bis in die Fingerspitzen gegenüber den Warnern, denen schwante, das Unternehmen werde mißlingen. Es ging um den Krieg.“

Kein Zweifel: Luise gehörte zu den wichtigsten Druckmitteln, die sich in Anschlag brachten, um König FW III. zum Marschbefehl gegen Frankreich zu bewegen. Die Liebe der Frau gehörte – unerwidert – zu jener Zeit dem russischen Zaren. Sibylle Wirsings glänzend geschriebenes Buch versorgt uns zu alledem mit den benötigten Informationen.

Luise von Preußen hat die sogenannten Befreiungskriege von 1813 bis 1815 und das Ende Napoleons, der sie als eine „große Feindin“ sah, nicht mehr erlebt. Als sie 1810 starb, war es auch mit ihrer Liebe zum Herrscher aller Reußen schon vorbei gewesen, nach dem der Zar pragmatisch und als Zwischenspiel ein Bündnis mit Bonaparte eingegangen war.

Warum lohnt es sich heute – unbeschadet aller Jubiliäumsalbernheiten – mit dieser Frau abzugeben? Ich denke so: Sie war stark genug, zu einer Zeit, da sich geschichtliche Entscheidungen anbahnten, Falsches mitzubewirken. Der Untergang des altfritzischen Preußen war unvermeidlich, doch die Art seines Zusammenbruchs nach Jena und Auerstedt nicht produktiv. Es folgte der unvermeidlichen Niederlage die Zeit der französischen Besatzung, ein Zustand, der als Fremdherrschaft angesehen werden mußte. Die „Befreiungskriege“ aber brachten keine Befreiung, ebensowenig wie die vielgerühmten „Reformen“ jener Zeit etwas an der Junker-Vorherrschaft in Preußen änderte. Nicht der citoyen wurde zum Leitbild des deutschen Bürgertums, sondern es blieb bei der Muckerei, die sich gegenüber Schwächeren in Großmannsucht kompensierte. Der Rachefeldzug gegen die Franzosen, wie ihn sich Luise allerdings gewünscht hatte, war begleitet von teutonischer Rüpelei. Das Ausgangsmaterial für das spätere Deutsche Reich, wie es Bismarck dann ja um Preußen als Kern herum errichtete und das später für zwei Weltkriege verantwortlich zeichnete, war nicht eben das beste.

Was aber wäre schlimm gewesen an einem Preußen, das sich für ein paar Jahrzehnte unter französischer Vormacht hin zu einem für seine Zeit modernen Staatswesen entwickelt hätte, in freundlicher Nachbarschaft mit anderen modernisierten Staaten deutscher Zunge, wie es sie unter Napoleons Ägide eben in Westfalen, aber auch in Bayern schon gab? Nichts! Selbstverständlich lassen sich geschichtliche Verläufe nicht so denken, als läge ihnen ein Schienennetz zugrunde: ist die Weiche einmal gestellt, rollt der Zug zwangsläufig auf ein bestimmtes Ziel zu. Nein. Aber es ist auch nicht so, daß sich die „Befreiungskrieger“ von 1813, die wilhelminischen Revanchisten und schließlich die Nazis der Figur der Luise von Preußen nur bemächtigt und bedient hätten, wie es Sibylle Wirsing suggeriert. Wenn sie noch Anfang 1945 in dem Goebbels´schen Historienschinken „Kolberg“ als Schirmherrin der Durchhaltewilligen auf die Leinwand kam, dann auch wegen eines inneren Zusammenhangs zu ihrer Rolle vor Jena und Auerstedt.

Juni 2010