Wenn der Grubenhund knurrt

Ausflüge in die kleine und die große Welt: Vom „Eskimo“-Dichter Kobuk, vierbeinigen Wächtern des „SED-Regimes“ und den Tücken medialer Aufgeblasenheit

Von Holger Becker

Strahlend blauer Himmel über Wien. Es ist der 3. Juli 1951. Auf dem Westbahnhof der Stadt an der Donau lungert schwatzend und rauchend eine Schar Reporter und Fotografen. Erscheinen in Wien soll heute der „Eskimodichter“ Kobuk. Leute aller wichtigen Blätter Österreichs stehen sich die Beine in den Bauch, von der auflagenstarken Boulevard-Gazette „Wiener Kurier“ über die einst in der März-Revolution von 1848 gegründete „Presse“ bis hin zur sozialdemokratischen „Arbeiterzeitung“ und der kommunistischen „Volksstimme“. Auch Radioreporter aus den verschiedenen Sektoren der noch alliiert-besetzten Stadt sind da.

Schon Tage vorher hatten die Zeitungen über den Besucher aus Grönland berichtet. Die Leser erfuhren von dessen Büchern „Brennende Arktis“ (Berlin 1927) und „Kochholz“ (Zürich 1941), in denen sich magischer Realismus mit nordischer Mythologie verbinde. Kobuk, der zu seinen Freunden Martin Andersen Nexö, Jack London und Stefan Zweig zähle, sei damit weit über seine engere Heimat hinaus bekannt geworden. Seine Grönland-Trilogie „Nordlicht über Iviktut“ – sie spiele in jenem Ort, wo er 1889 geboren worden sei – werde jetzt von Metro-Goldwyn-Mayer verfilmt. Und in Wien habe er viel vor. Nicht nur eine Dichterlesung, nein Kobuk wolle auch mit Theatern der österreichischen Hauptstadt über Aufführungen seiner Stücke „Einsamer Iglu“ und „Republik der Pinguine“ verhandeln. Außerdem möchte er gerne die Wiener Eisrevue zu einer Grönlandtournee überreden.

Der Zug hält, und den Bahnsteig betritt ein massiger Kerl in außergewöhnlicher Kluft: schwerer Pelzmantel, große Pelzmütze. Das muß er sein. Ein Mann vom Radio fragt, wie ihm Wien gefalle. „Haaß is‘s!“ (Heiß ist es!) belfert es da in schönstem Wienerisch ins Mikrofon. Es dauert nicht lange, bis die Pressemeute erkennt: Kobuk, das ist Helmut Qualtinger (1928 bis 1986), selbst Journalist, aber auch Schauspieler und Kabarettist.

Mit kleinen Tricks hat Qualtinger Wiens Presse grandios hereingelegt. Dazu gehört originales Briefpapier des österreichischen PEN-Clubs, das Qualtinger dessen Präsidenten klaut und für seine Kobuk-Attacke auf die Redaktionen benutzt. Auch Iviktut, der angebliche Geburtsort des angeblichen grönländischen Starautors, läßt sich auf der Landkarte finden. Aber schon der Ansatz einer Recherche müßte ergeben: Kein Buchhändler kennt eines der genannten Bücher, kein Literaturlexikon einen Kobuk. Und nix da mit Freund von Nexö, London und Zweig.

Qualtingers Aktion, eigentlich eine Rache für erfahrene Mißachtung, führte vor, wie leicht sich das Radar der Medien unterfliegen läßt. Ganz ähnlich lief es ja 1983, als der in Hamburg ansässige „Stern“ unter enormem Tamtam gefälschte Hitler-Tagebücher druckte. Für die hatte er 9,3 Millionen DM gezahlt. Wie das Ganze, in dem schon eine ungeheure Komik steckt, bei dem mit einem linksliberalen Image versehenen Wochen-Magazin funktionierte, hat Helmut Dietl in seinem wunderbaren Film „Schtonk“ komödiantisch verdichtet. Zum Schieflachen die Szene, in der die Hereingelegten sich selbst zu erklären versuchen, warum auf dem Umschlag der angeblichen Hitler-Tagebücher die Metall-Initialen F und H prangen: Fritze Hitler hat er ja wohl nicht geheißen?, sagt der eine, Führer Hitler? der andere, Führers Hund? ein Dritter. Führer-Hauptquartier!, das ist es, gerettet.

Helmut Dietl blieb damit dicht an den tatsächlichen Vorgängen: Denn der gar nicht so geschickte, aber ziemlich dreiste Fälscher Konrad Kujau, der die „Tagebücher“ auf Kladden aus einem DDR-Konsum verfertigte, besaß in seinem Fundus kein A wie Adolf. Also nahm er ein F. Aber A hin und F her. Eigentlich hätte der Schwindel schon deshalb auffliegen müssen, weil beide Buchstaben in einer Fraktur-Schrift ausgeführt waren. Die nämlich hat der Gröfaz, im Unterschied zu den meisten seiner Mitnazis, verabscheut. Er favorisierte die Antiqua, die lateinische Schrift. Die bei fast allen Völkischen schon damals so beliebte Fraktur sah ausgerechnet Hitler als eine „sogenannte gotische Schrift“ an, die in Wirklichkeit aus „Schwabacher Judenlettern“ bestehe.

Fachhistoriker müßten das wissen. Aber wie den „Stern“-Dioskuren war es schon 1979 dem Stuttgarter Professor Eberhard Jäckel ergangen, später Mitanreger des Holocaust-Denkmals in Berlin. Jäckel wurde damals ein erster Band von Kujaus „Hitler-Tagebüchern“ vorgelegt, den er als „Sensation“ bezeichnete. Im Jahr darauf kam die von Jäckel und Axel Kuhn edierte „Quellen“-Sammlung“ „Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924“ auf den Markt. Die enthielt 694 Schriftstücke. Der „Stern“ veröffentlichte sofort Teile des Buches, darunter ein angeblich von Hitler verfaßtes Gedicht. Doch das war eine Fälschung, wie Jäckel und Kuhn schon 1981 in den „Vierteljahresheften für Zeitgeschichte“ zugaben. Bei weiteren Schriftstücken bestünden „ernsthafte Zweifel“ an der Echtheit. Wie sich später herausstellte, stammten auch sie alle aus Kujaus Werkstatt, 76 an der Zahl. Warum merkte dann keiner etwas in Hamburg?

Es ist wie bei Qualtingers Kobuk-Koboldaktion: Beim „Stern“ glaubten die Beteiligten an die „Hitler-Tagebücher“, weil sie daran glauben wollten. Ohne Zweifel blätterte es da am linksliberal aufgehellten Firnis des Blattes, was eine dunklere Grundierung durchschimmern ließ. Aber funktioniert hätte Kujaus Coup nie im Leben, wäre bei seinen Abnehmern nicht so viel Selbstgefälligkeit im Spiel gewesen. Wie läßt Dietl seinen von Götz George gespielten Protagonisten, nachempfunden dem „Tagebuch“-Entdecker Gerd Heidemann, immer wieder sagen? „Hamburg ist ja die deutsche Pressestadt.“

Warum wir mit Qualtingers Streich begannen? Medialer Aufgeblasenheit die Luft abzulassen, hat in Österreich gute Tradition. Wer sich dort in dieser Disziplin übt, der schickt der Redaktion seiner Wahl einen „Grubenhund“. Zurück geht das auf den Ingenieur und Schriftsteller Arthur Schütz (1880 bis 1960). Diesen Sohn eines österreichischen Generalkonsuls in Rußland wurmten die aufgebauschten und pseudowissenschaftlich manierierten Berichte der „Neuen Freien Presse“ (NFP) über ein angebliches Erdbeben in Wien, bei dem es sich allenfalls um ein leichtes Zittern gehandelt hatte. Schütz traf ins Schwarze. Am 18. November 1911 brachte die Zeitung einen sehr gelehrt klingenden Leserbrief eines Bergwerksingenieurs „Dr. Ing. Erich Ritter von Winkler“ über seltsame Vorkommnisse bei diesem Beben. Nonsens hoch drei, der in dem Satz gipfelte: „Völlig unerklärlich ist jedoch die Erscheinung, daß mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab.“ Der Wink mit dem Zaunpfahl, die Anspielung auf den Grubenhunt, wie Bergleute den Förderwagen untertage nennen, blieb unbemerkt.

Daß der Entlarvungsulk funktionierte, war auch in diesem Fall bemerkenswert. Hatte doch der später dreimal für den Nobelpreis nominierte, aber niemals damit bedachte Schriftsteller Karl Kraus (1874 bis 1936) die NFP schon 1908 auf sehr ähnlichem Wege hinter die Fichte geführt.

Unter dem Absender „Ing. Berdach“ schrieb auch er einen Leserbrief zu einem Erdbeben. Und auch dort tanzten Mumpitz und Kokolores Polka, so daß es vor Fachausdrücken wie der „Variabilität der Eindrucksdichtigkeit“ nur so wirbelte und schwurbelte, „tellurische Erdbeben (im engeren Sinne)“ und „kosmische Erdbeben (im weiteren Sinne)“ die bei Kraus verhaßte NFP zur Lachnummer machten.

Heutzutage hat es der Grubenhund nicht so leicht. Einen großen Teil ihrer Inhalte gewinnen Medien nicht aus eigener Kraft, sondern beziehen ihn von Nachrichtenagenturen. Weniger Redakteure schaffen mehr, heißt das Motto der meisten Zeitungsverlage, lieber falsch mit dpa als alleine richtig, das Motto der im Dreieck springenden Redakteure.

Allerdings, wenn dann der Grubenhund knurrt … Es ist nur ein paar Jahre her, da war er wieder zu hören. Es ging, man glaubt es kaum, um Schäferhunde.

Diese Vierbeiner mischten die Zeitschrift „Totalitarismus und Demokratie“ des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts auf, einer Einrichtung immerhin der dortigen Technischen Universität. In der Dezemberausgabe 2015 gaben sie Laut. Der erste Mauertote, so las man, war der Westberliner Polizeihund Rex, der sich am 14. August 1961 im provisorischen Stacheldrahtverhau an der Bernauer Straße verfangen hatte und nach stundenlangen Torturen von DDR-Grenzern erschossen wurde. Der Beitrag einer „Christiane Schulte, geb. 1989 in Erfurt“, „Doktorandin“ an der Universität Kassel versprach, „die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aus der Sicht des Schäferhundes zu betrachten“. Das tat er auch, und zwar äußerst tiefgründig.

So schilderte die blonde Christiane, ein Bild der Autorin stand über dem Text, ausführlich die „Staatswerdung des Schäferhundes“. Sie enthüllte die Abstammung der DDR-Grenzhunde von den Wachhunden in Hitlers Konzentrationslagern („Beide totalitäre Diktaturen des 20. Jahrhunderts verband also eine Gewalttradition.“). Sie berechnete die wirkliche Dauer der Trennungsgeschichte der deutschen Schäferhunde („40 Jahre lang wurden ost- und westdeutsche Hunde nicht miteinander gekreuzt, das entspricht auf die Lebensdauer der Hunde gerechnet 280 Menschenjahren.“). Und sie untersuchte auch den „Hund in der Berliner Republik“, wobei sie für die Hunde des Bundesgrenzschutzes einen Rollenwechsel konstatierte („An der deutsch-polnischen Grenze hatten die Schäferhunde nun ganz andere Aufgaben. Im Rahmen des Schutzes der EU-Außengrenze sahen sie sich damit konfrontiert, daß sie nun aggressiv gegen Flüchtlinge und ‘Schleuser‘ vorgehen mußten, anstatt diese wie zuvor im Schutz der Leine mit freundlichem Gebell willkommen zu heißen.“)

Als am 15. Februar 2016 die anonym bleibenden Autoren des auf 16 Heftseiten abgedruckten Textes, das Autorfoto zeigte ein russisches Model, den Schwindel selbst enthüllten, stand Uwe Backes, der Vizechef des Hannah-Arendt-Institutes bedeppert da. Er hatte den offensichtlichen Unfug selbst ins Heft gehoben, nur ein paar Kleinigkeiten gestrichen, so den Vorschlag, am geplanten Einheitsdenkmal in Berlin eine Hundeleine anzubringen.

Auch der Umstand, daß dieser Grubenhund schon andere genarrt hatte, konnte Backes nicht entschuldigen. Tatsächlich war der Text schon ein Jahr zuvor auf einer Konferenz an der Technischen Universität Berlin vorgetragen worden. Thema: „‘Tiere unserer Heimat’: Auswirkungen der SED-Ideologie auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in der DDR“.

2017