Von Polenfonds und Preußen-Willi

Ausflüge in die kleine und die große Welt: Die Gier der Hohenzollern

Von Holger Becker

Sie schleichen sich immer wieder an. Nicht unbedingt auf elastischen Beinen, aber manchmal auf seltsamen Wegen: Im Jahr 1958 reichten Nachfahren des im November 1918 abgedankten und „mit voller Hose“ (Maximilian Harden) nach Holland geflüchteten deutschen Kaisers Wilhelm II. in Großbritannien Anträge ein, aus dem sogenannten Polenfonds entschädigt zu werden. Diesen Fonds, gespeist aus Gewinnen im Handel mit Großbritannien, stellte Volkspolen den Briten zur Verfügung. Er sollte auf 2,5 Millionen Pfund (damals ca. 30 Millionen Westmark) anwachsen und verwendet werden, um britische Staatsbürger abzufinden, die in Folge der Veränderungen in Polen nach 1945 materielle Schäden erlitten hatten.

Beim „Tag von Potsdam“ vor der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933: Adolf Hitler plaudert mit „Kronprinz“ Wilhelm von Preußen, rechts im Bild Hermann Göring, Kontaktmann der Nazi-bewegung zu den Hohenzollernoberhäuptern. Der „Kronprinz“, ein Befürworter des Treibens von SA und SS, erscheint bei der Zeremonie in Potsdam in der Uniform der „Totenkopfhusaren“. Deren Totenkopfsymbol entlehnte sich die SS für ihre Uniformen
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14437 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

Die Hohenzollernspößlinge beriefen sich darauf, britische Staatsbürger zu sein. Denn nach einem Gesetz von 1705 sollten alle Nachfahren der Sophie von Hannover, der Stammutter des heutigen britischen Königshauses, als solche gelten. Was hieß: die Königsfamilien von Dänemark, Schweden, Norwegen und den Niederlanden, alles Briten. Und so auch die Hohenzollern, egal, welche Dienste brandenburgische Stallknechte zwischendurch geleistet haben mochten, um das Geschlecht der Preu-ßenherrscher zu erhalten. 

Einigen Insulanern wurde es mulmig. Schon 1957 hatte der walisische Schriftsteller und Labour-Abgeordnete Maurice Edelmann im Unterhaus eine Anfrage an die Regierung gerichtet, in der er vom Begehren einiger deutscher Angehöriger des ehemaligen Hochadels sprach, aus dem „Polenfonds“ für ihre verlorenen Schlösser und Güter in den nun zu Polen gehörenden einstigen deutschen Ostgebieten entschädigt zu werden. Und jetzt auch die Hohenzollern? Deren Klitschen hatten doch zu zwei Dritteln jenseits von Oder und Neiße gelegen.

Der Londoner Anwalt Charles Rubens, der echte Briten vertrat, befürchtete damals in einem Brief an die „Times“, für seine Mandanten bleibe nicht viel übrig aus dem volkspolnischen Topf, um die ihnen entstandenen Verluste auszugleichen. Und er monierte: „Es wäre eine ungeheuerliche Anomalie, wenn Leute, die während der letzten zwei Kriege feindliche Staatsbürger waren, deren Regierung den Zusammenbruch Polens verschuldet hat, nun Anrecht darauf besitzen sollten, von einem Fonds zu profitieren, der ausschließlich für den Zweck geschaffen wurde, eine geringe Entschädigung für jene unglückseligen Staatsbürger zu schaffen, die ihr Vermögen in Polen verloren haben.“ 

Was die Polen dazu meinten, wenn ihr Geld ausgerechnet Nachfahren des Herrscherhauses nachgeworfen würde, das von allen drei polnischen Teilungen profitiert hatte, fragte auch „Der Spiegel“ nicht, der im Februar 1958 über diese Episode berichtete. Einige aus der Hohenzollern-Verwandtschaft könnten mit „Trostpreisen der Geschichte“ rechnen, und zwar in Form „ansehnlicher Schecks, ausgestellt auf englische Pfund“, prognostizierte das Magazin. 

Allerdings machte die britische Regierung noch im Frühjahr 1958 dem Spuk ein Ende: Wer sich in Sachen Staatsbürgerschaft nur auf das 250 Jahre alte Gesetz berufen könne, bekomme nichts aus dem „Polenfonds“. Vielleicht wußte der damalige Premier Harold Macmillan – ein Konservativer mit Sympathie für die britischen Arbeiter, er hatte einige von ihnen als Kompaniechef im ersten Weltkrieg im Dreck der Schützengräben kennengelernt –, wieviel Geld in der Bank of England auf Konten der Familie des deutschen Ex-Kaisers lagerte. Immerhin hielt sich seit den 1920er Jahren die Rede, der 1918 fahnenflüchtige oberste Befehlshaber der deutschen Streitmacht habe, vorsichtigerweise, vor Beginn des Ersten Weltkrieges den Gegenwert von 60 Millionen Reichsmark in Londoner Tresoren gebunkert. Selbstverständlich ohne dann nach dem „Deutschen Reichsgesetz gegen die Steuerflucht“ belangt zu werden. Das sah für den Vermögenstransfer ins Ausland eine Abgabe an den deutschen Fiskus von 20 Prozent vor. Der nachmalige kaiserliche Deserteur hatte es noch im Juli 1918 unterschrieben. Allerdings enthielt es im Paragraph 21 eine schöne Ausnahmeklausel, nach der auf Forderungen verzichtet werden könne, wenn die Auswanderung „im deutschen Interesse“ liege.

Der Preußen-Willi jedenfalls ließ es sich gutgehen im Ausland. Im holländischen Schloß Doorn – es liegt in einem Park von 56 Hektar –, das er schon 1919 für 1,35 Millionen Gulden kaufte, sorgten rund 30 Bedienstete für sein Wohlergehen. Obwohl das Hohenzollern-Vermögen in der Novemberrevolution von 1918 erst einmal beschlagnahmt worden war, erreichten den Drückeberger immer wieder feine Gaben aus Deutschland. Dafür sorgte nicht zuletzt Ihrer Majestät Sozialdemokratie unter Führung des monarchieverliebten Friedrich Ebert. 

Noch im Revolutionsmonat flossen 652.000 Reichsmark „zur Führung eines angemessenen Unterhalts“. Im Januar 1919 schwoll der Geldstrom auf 8 Millionen Mark an. Und noch im selben Jahr spülte die von der SPD geführte Reichsregierung kräftig nach: mit 1,2 Millionen im August, 6 Millionen im September, 10 Millionen im Oktober. Außerdem kaufte die Republik von ihrem obersten Hasser für 38 Millionen Mark zwei Paläste in der Berliner Wilhelmstraße. Obwohl der wilhelminische Weltmachtwahnsinn der deutschen Währung einen starken Kaufkraftverlust beschert hatte, betrug das Kaufkraftäquivalent einer Reichsmark im Jahre 1919 – laut jüngsten Angaben der Deutschen Bundesbank – noch 1,1 Euro. 

Außer den enormen Barmitteln empfing der gewesene Potentat einen Berg von Dingen zum Gucken und Anfassen. 59 Güterwaggons brauchte es, um Möbel, Gemälde, Gold, Silber und andere Kostbarkeiten sowie Uniformen und allerhand Krimskrams aus dem Berliner Stadtschloß, dem Schloß Bellevue, dem Charlottenburger Schloß und dem Neuen Palais in Potsdam über die Landesgrenze zu bringen. Der preußische Finanzminister Albert Südekum (SPD) segnete am 1. September 1919 die 71seitige Liste des „Umzugsgutes“ ab. 

Man muß sich das vorstellen: Über zwei Millionen Soldaten waren unter dem formellen Oberkommando des Cäsarenwahnsinnigen an den Fronten umgekommen, fast eine halbe Million Zivilisten in Deutschland an Hunger und Krankheiten gestorben, mehr als vier Millionen junge Männer kehrten verletzt aus dem Krieg zurück. Und etliche Millionen deutscher Soldaten mußten weiter ungewollt, nämlich als Kriegsgefangene im Ausland bleiben, nicht wenige bis 1922. Doch der sich formal als Republik ausweisende Staat, in dem ein zu 40 Prozent Kriegsbeschädigter 24,50 Mark, eine Kriegerwitwe 47 Mark Monatsrente bezieht, überhäuft den Oberverantwortlichen für das Elend mit Geldmillionen und Luxusgütern.

Und während ein großer Teil der Deutschen in der Hyperinflation sämtliche Ersparnisse verloren hatte – dazu gehörte auch das Geld aus den Kriegsanleihen für den wilhelminischen Staat –, sollte der Berg der Gaben für die Hohenzollern noch wachsen. Im Oktober 1926 setzte der Sozialdemokrat Otto Braun als Regierungschef des Freistaates Preußen gegen erheblichen Widerstand aus den eigenen Reihen einen Abfindungsvertrag durch. So als seien sie nicht Staats-, sondern Privateigentum gewesen, fiel Wilhelm und seiner Verwandtschaft ein Drittel der einstmals königlichen Schlösser zu. Sie bekamen Bellevue und Babelsberg, Monbijou und Königs Wusterhausen, Cecilienhof und das Niederländische Palais Unter den Linden, um nur einige der wichtigsten Immobilien zu nennen. 

Zuvor hatte das reaktionäre Lager alle verfügbaren Kräfte mobilisiert, um einen reichsweiten Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten – bei ihm waren sich KPD und SPD (nach längerem Zaudern) mal weitgehend einig – scheitern zu lassen. Obwohl die Weimarer Verfassung durchaus die Enteignung ohne Abfindung zuließ, erklärte der bis ins Knochenmark monarchistische und – wie später der sogenannte Osthilfeskandal erwies – korrupte Reichspräsident Paul von Hindenburg das vorgeschlagene Enteignungsgesetz für „verfassungsändernd“. Was die bürgerlich geführte Reichsregierung stante pede bestätigte. 

Damit galt für den Volksentscheid: Um die entschädigungslose Fürstenenteignung durchzusetzen, mußten mehr als 50 Prozent der Stimmberechtigten dem Gesetzentwurf zustimmen. Das war nicht zu schaffen, auch wenn der geniale Organisator Willi Münzenberg zusammen mit dem Statistiker René Kuczynski zahlreiche Prominente wie Käthe Kollwitz, Heinrich Zille, Kurt Tucholsky, Albert Einstein, Helene Stöcker, George Grosz und John Heartfield zusammenführte, die in einem Aufruf forderten das für die Fürstenentschädigung vorgesehene Geld „den durch Krieg und Inflation schwer geschädigten Schichten zuzuführen“. Doch von den Kirchenkanzeln predigten die Priester beider Konfessionen, um Gottes Willen nicht zur Abstimmung zu gehen. Es drohe die Abschaffung des Privateigentums, malten die bürgerlichen Parteien den Teufel an die Wand und gaben für diese Agitation mehr Geld aus als bei den Reichstagswahlen davor und danach. Die Boykottaufrufe machten aus der geheimen Abstimmung eine offene. In ostelbischen Junkerbezirken schrieben Kontrollposten sogar jeden auf, der ins Wahllokal ging, nachdem Gutsbesitzer zuvor Landarbeitern und kleinen Bauern schwere wirtschaftliche und persönliche Sanktionen im Falle einer Teilnahme angedroht hatten.

Als 1945 die sowjetische Armee an der Oder stand und in Jalta die Chefs der alliierten Mächte tagten, wußte des Ex-Kaiser ältester Sohn, im fossilen Selbstverständnis der Hohenzollern der „Kronprinz“, was er zu tun hatte. Zusammen mit seiner Frau Cecilie verließ Wilhelm von Preußen das Schloß Cecilienhof, das dann berühmt werden sollte als Tagungsort der Potsdamer Konferenz, und gab Fersengeld in Richtung Westen. Die Russen, so mußte er wissen, würden ihm und vielen seiner Sippe den Vorschub nicht nachsehen, den sie der Nazi-Herrschaft geleistet hatten. Anders jedenfalls als im Westen, wo es dann „Lastenausgleich“ für das im Osten zu recht Verlorene gab. 

Masche für Masche hat der Historiker Stephan Malinowski die Verstrickung des „Kronprinzen“ in das Möglichwerden der Naziherrschaft beschrieben. Wir müssen das hier nicht im Detail nachvollziehen. Eigentlich reicht es den Vorwurf zu kennen, den das damalige Familienoberhaupt der Hohenzollern im April 1932 nach dem – zeitweiligen – Verbot von SA und SS an den Reichswehrminister Wilhelm Groener richtete: „Ich kann diesen Erlaß nur als schweren Fehler bezeichnen. Es ist mir auch unverständlich, wie gerade Sie als Reichswehrminister das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA und SS vereinigt ist und das dort eine wertvolle Erziehung genießt, zerschlagen helfen.“ 

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. „Die Presse, die Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß – I believe the best would be gas“, schrieb der Asylant Wilhelm II. 1927 in einem Brief. Ein Jahr vor seinem Tod im Juni 1941 gratulierte er Hitler dann zur Eroberung von Paris. Die war Höhepunkt des Westfeldzuges, bei dem Wehrmacht und Waffen-SS auch die Niederlande überrannten und besetzten, die dem Ex-Kaiser ja Asyl gewährt hatten. Nach dem Krieg konfiszierte der niederländische Staat den Hohenzollernbesitz auf seinem Territorium einschließlich der beweglichen Habe von Wilhelm II im Schloß Doorn – von wegen Kollaboration mit dem Naziregime. Da gab es gar nichts zu verhandeln.

Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004, 660 Seiten, 24,99 Euro

Oktober 2019