Fritze Hitler

40 Jahre Skandal um angebliche Tagebücher: Die Verantwortung soll bei Kujau und Heidemann hängenbleiben

Oben FH, unten AH – Fraktur-Lettern, wie sie Konrad Kujau für seine „Hitler-Tagebücher“ verwendete. Der Schwindel hätte schon deshalb auffallen müssen. Denn Hitler verabscheute Frakturschrift
Quelle: wikimedia commons/ Armin Kübelbeck

Wieder Tamtam um die „Hitler-Tagebücher“, mit denen das Magazin „Stern“ vor 40 Jahren die Geschichte umschreiben wollte. Das Medienhaus Bertelsmann hat angekündigt, die 62 Bände Originalfälschungen des Schlitzohrs Konrad Kujau jetzt an das Bundesarchiv zu geben. Die ARD brachte am Montag (23. April 2023) sogar noch vor 24 Uhr eine „Doku“ zu dem damaligen Skandal. Der Grundtenor, der zum Jubiläum der großen Pleite von 1983 erklingt: Es seien vor allem der Fälscher Kujau (mit Verbindungen die Neonazi-Szene) und der Reporter Gerd Heidemann (mit seinem Faible für Nazikram) gewesen, die geschichtspolitisch aktiv wurden. Es habe sich um „einen dreisten Versuch“ gehandelt, „den brutalen Verbrechen des Nationalsozialismus einen menschlichen Anstrich zu geben, der in den 1980er Jahren in der Gesellschaft auf Resonanz traf“, sagt der jetzige Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann.

Der Medienriese Bertelsmann erscheint nun sogar im Glanze sorgsamer Übernahme von Verantwortung. „Der ´Stern´ gehört inzwischen (Hervorhebung d. Red.) zum Firmenportfolio“ von Bertelsmann, wußte in diesem Zusammenhang der Norddeutsche Rundfunk zu berichten, so als wäre es nicht ein leichtes herauszufinden, daß zur Zeit des Großskandals 74,9 Prozent des „Stern“-Verlages Gruner+Jahr im Besitz von Bertelsmann waren.

Aber davon mal abgesehen: Entscheidend ist, wer damals bereit war, 9,34 Millionen D-Mark für Hitlers öffentlichkeitswirksame Vermenschlichung zu zahlen und den Quark in Millionenauflage unters Volk zu bringen. Wie das Ganze, in dem auch eine ungeheure Komik steckt, bei dem mit einem linksliberalen Image versehenen Wochen-Magazin funktionierte, hat Helmut Dietl in seinem wunderbaren Film „Schtonk“ komödiantisch verdichtet. Zum Schieflachen die Szene, in der die Führer-Fans beim „Stern“ sich selbst zu erklären versuchen, warum auf dem Umschlag der angeblichen Hitler-Tagebücher die Metall-Initialen F und H prangen: Fritze Hitler hat er ja wohl nicht geheißen?, sagt der eine, Führer Hitler? der andere, Führers Hund? ein Dritter. Führer-Hauptquartier!, das ist es, gerettet.

Helmut Dietl blieb damit dicht an den tatsächlichen Vorgängen: Denn der gar nicht so geschickte, aber ziemlich dreiste Fälscher Konrad Kujau, der die „Tagebücher“ auf Kladden aus einem DDR-Konsum verfertigte, besaß in seinem Fundus kein A wie Adolf. Also nahm er ein F. Aber A hin und F her. Eigentlich hätte der Schwindel schon deshalb auffliegen müssen, weil beide Buchstaben in einer Fraktur-Schrift ausgeführt waren. Die nämlich hat Hitler, im Unterschied zu den meisten seiner Mitnazis, verabscheut. Er favorisierte die Antiqua, die lateinische Schrift. Die bei fast allen Völkischen schon damals so beliebte Fraktur sah ausgerechnet Hitler als eine „sogenannte gotische Schrift“ an, die in Wirklichkeit aus „Schwabacher Judenlettern“ bestehe.

Fachhistoriker müßten das wissen. Aber wie den „Stern“-Dioskuren war es schon 1979 dem Stuttgarter Professor Eberhard Jäckel ergangen, später Mitanreger des Holocaust-Denkmals in Berlin. Jäckel wurde damals ein erster Band von Kujaus „Hitler-Tagebüchern“ vorgelegt, den er als „Sensation“ bezeichnete. Im Jahr darauf kam die von Jäckel und Axel Kuhn edierte „Quellen“-Sammlung“ „Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924“ auf den Markt. Die enthielt 694 Schriftstücke. Der „Stern“ veröffentlichte sofort Teile des Buches, darunter ein angeblich von Hitler verfaßtes Gedicht. Doch das war eine Fälschung, wie Jäckel und Kuhn schon 1981 in den „Vierteljahresheften für Zeitgeschichte“ zugaben. Bei weiteren Schriftstücken bestünden „ernsthafte Zweifel“ an der Echtheit. Wie sich später herausstellte, stammten auch sie alle aus Kujaus Werkstatt, 76 an der Zahl. Warum merkte angesichts dieser Vorgeschichte 1983 keiner etwas in Hamburg?

Beim „Stern“ glaubten die Beteiligten an die „Hitler-Tagebücher“, weil sie daran glauben wollten. Ohne Zweifel blätterte es da am linksliberal aufgehellten Firnis des Blattes, was eine dunklere Grundierung durchschimmern ließ. Im übrigen nicht ganz verwunderlich angesichts der Vergangenheit des „Stern“-Chefs Henri Nannen als Nazipropagandist. Aber funktioniert hätte Kujaus Coup nie im Leben, wäre bei seinen Abnehmern nicht so viel Selbstgefälligkeit im Spiel gewesen. Wie läßt Dietl seinen von Götz George gespielten Protagonisten, nachempfunden dem „Tagebuch“-Entdecker Gerd Heidemann, immer wieder sagen? „Hamburg ist ja die deutsche Pressestadt.“