Aus aktuellem Anlaß: Brecht

Der Gründer des Berliner Ensembles über Aufrufe gegen den Faschismus

„Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden. Wer den Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht preisgeben will, der wird den Faschismus nicht loswerden, sondern ihn brauchen.“

Bertolt Brecht: Schriften zur Politik und Gesellschaft, Band II, Seite 19, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1968


Unser Bild: Bertolt Brecht und Helene Weigel am 1. Mai 1954 in Berlin
Foto: ADN-Zentralbild, Horst Sturm, Bundesarchiv, Bild 183-24300-0049 /
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Fritze Hitler

40 Jahre Skandal um angebliche Tagebücher: Die Verantwortung soll bei Kujau und Heidemann hängenbleiben

Oben FH, unten AH – Fraktur-Lettern, wie sie Konrad Kujau für seine „Hitler-Tagebücher“ verwendete. Der Schwindel hätte schon deshalb auffallen müssen. Denn Hitler verabscheute Frakturschrift
Quelle: wikimedia commons/ Armin Kübelbeck

Wieder Tamtam um die „Hitler-Tagebücher“, mit denen das Magazin „Stern“ vor 40 Jahren die Geschichte umschreiben wollte. Das Medienhaus Bertelsmann hat angekündigt, die 62 Bände Originalfälschungen des Schlitzohrs Konrad Kujau jetzt an das Bundesarchiv zu geben. Die ARD brachte am Montag (23. April 2023) sogar noch vor 24 Uhr eine „Doku“ zu dem damaligen Skandal. Der Grundtenor, der zum Jubiläum der großen Pleite von 1983 erklingt: Es seien vor allem der Fälscher Kujau (mit Verbindungen die Neonazi-Szene) und der Reporter Gerd Heidemann (mit seinem Faible für Nazikram) gewesen, die geschichtspolitisch aktiv wurden. Es habe sich um „einen dreisten Versuch“ gehandelt, „den brutalen Verbrechen des Nationalsozialismus einen menschlichen Anstrich zu geben, der in den 1980er Jahren in der Gesellschaft auf Resonanz traf“, sagt der jetzige Präsident des Bundesarchivs Michael Hollmann.

Der Medienriese Bertelsmann erscheint nun sogar im Glanze sorgsamer Übernahme von Verantwortung. „Der ´Stern´ gehört inzwischen (Hervorhebung d. Red.) zum Firmenportfolio“ von Bertelsmann, wußte in diesem Zusammenhang der Norddeutsche Rundfunk zu berichten, so als wäre es nicht ein leichtes herauszufinden, daß zur Zeit des Großskandals 74,9 Prozent des „Stern“-Verlages Gruner+Jahr im Besitz von Bertelsmann waren.

Aber davon mal abgesehen: Entscheidend ist, wer damals bereit war, 9,34 Millionen D-Mark für Hitlers öffentlichkeitswirksame Vermenschlichung zu zahlen und den Quark in Millionenauflage unters Volk zu bringen. Wie das Ganze, in dem auch eine ungeheure Komik steckt, bei dem mit einem linksliberalen Image versehenen Wochen-Magazin funktionierte, hat Helmut Dietl in seinem wunderbaren Film „Schtonk“ komödiantisch verdichtet. Zum Schieflachen die Szene, in der die Führer-Fans beim „Stern“ sich selbst zu erklären versuchen, warum auf dem Umschlag der angeblichen Hitler-Tagebücher die Metall-Initialen F und H prangen: Fritze Hitler hat er ja wohl nicht geheißen?, sagt der eine, Führer Hitler? der andere, Führers Hund? ein Dritter. Führer-Hauptquartier!, das ist es, gerettet.

Helmut Dietl blieb damit dicht an den tatsächlichen Vorgängen: Denn der gar nicht so geschickte, aber ziemlich dreiste Fälscher Konrad Kujau, der die „Tagebücher“ auf Kladden aus einem DDR-Konsum verfertigte, besaß in seinem Fundus kein A wie Adolf. Also nahm er ein F. Aber A hin und F her. Eigentlich hätte der Schwindel schon deshalb auffliegen müssen, weil beide Buchstaben in einer Fraktur-Schrift ausgeführt waren. Die nämlich hat Hitler, im Unterschied zu den meisten seiner Mitnazis, verabscheut. Er favorisierte die Antiqua, die lateinische Schrift. Die bei fast allen Völkischen schon damals so beliebte Fraktur sah ausgerechnet Hitler als eine „sogenannte gotische Schrift“ an, die in Wirklichkeit aus „Schwabacher Judenlettern“ bestehe.

Fachhistoriker müßten das wissen. Aber wie den „Stern“-Dioskuren war es schon 1979 dem Stuttgarter Professor Eberhard Jäckel ergangen, später Mitanreger des Holocaust-Denkmals in Berlin. Jäckel wurde damals ein erster Band von Kujaus „Hitler-Tagebüchern“ vorgelegt, den er als „Sensation“ bezeichnete. Im Jahr darauf kam die von Jäckel und Axel Kuhn edierte „Quellen“-Sammlung“ „Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924“ auf den Markt. Die enthielt 694 Schriftstücke. Der „Stern“ veröffentlichte sofort Teile des Buches, darunter ein angeblich von Hitler verfaßtes Gedicht. Doch das war eine Fälschung, wie Jäckel und Kuhn schon 1981 in den „Vierteljahresheften für Zeitgeschichte“ zugaben. Bei weiteren Schriftstücken bestünden „ernsthafte Zweifel“ an der Echtheit. Wie sich später herausstellte, stammten auch sie alle aus Kujaus Werkstatt, 76 an der Zahl. Warum merkte angesichts dieser Vorgeschichte 1983 keiner etwas in Hamburg?

Beim „Stern“ glaubten die Beteiligten an die „Hitler-Tagebücher“, weil sie daran glauben wollten. Ohne Zweifel blätterte es da am linksliberal aufgehellten Firnis des Blattes, was eine dunklere Grundierung durchschimmern ließ. Im übrigen nicht ganz verwunderlich angesichts der Vergangenheit des „Stern“-Chefs Henri Nannen als Nazipropagandist. Aber funktioniert hätte Kujaus Coup nie im Leben, wäre bei seinen Abnehmern nicht so viel Selbstgefälligkeit im Spiel gewesen. Wie läßt Dietl seinen von Götz George gespielten Protagonisten, nachempfunden dem „Tagebuch“-Entdecker Gerd Heidemann, immer wieder sagen? „Hamburg ist ja die deutsche Pressestadt.“

Überprüfung nun möglich

Ermittlungen zum Reichstagsbrand 1933: Am 25. Januar wurden die sterblichen Überreste des Marinus van der Lubbe ausgegraben. Ein Gerichtsmediziner untersucht sie jetzt

Marinus van der Lubbe

Am 25 Januar 2023 ist es endlich geschehen: Auf dem Leipziger Südfriedhof wurden die sterblichen Überreste von Marinus van der Lubbe (1909 bis 1934) ausgegraben, jenes damals jungen Mannes aus Holland, der als Brandstifter des Reichstags 1934 hingerichtet worden ist. Van der Lubbes Knochen wurden Proben entnommen, die jetzt der Leipziger Gerichtsmediziner Carsten Babian untersucht. Vor allem soll geprüft werden, ob sich eine Vergiftung van der Lubbes nachweisen läßt. Im Reichstagsbrandprozeß vor dem Reichsgericht 1933/34 in Leipzig und Berlin war Beobachtern ein fast durchgängich apathisches Verhalten des Holländers aufgefallen. So entstand der Verdacht, van der Lubbe könnte mit dem Essen Scopolamin verabreicht worden sein, ein Wirkstoff, der Apathie-Zustände auszulösen vermag. Die Leipziger Paul-Benndorf-Gesellschaft, die sich um historische Grabanlagen in ihrer Stadt kümmert, hat eine Untersuchung im Einvernehmen mit der Stadt Leipzig jetzt möglich gemacht.

Schon vor mehr als 20 Jahren hatte Otto Prokop (1921 bis 2009), einer der weltweit führenden Rechtsmediziner, im Gespräch mit mir den Nachweis einer Vergiftung für möglich gehalten. Nichts sei sicher, aber man solle es versuchen, sagte Prokop damals.

Über die Exhumierung van der Lubbes konnte als erster der Journalist und Buchautor Uwe Soukup im Wochenblatt „Die Zeit“ berichten. Themen seiner zweiseitigen Darstellung sind die Genese der These vom Alleintäter van der Lubbe (hier klicken, Achtung Bezahlschranke) und die Unmöglichkeit ihrer Wahrhaftigkeit. Dazu hat Soukup jetzt auch ein Buch vorgelegt (hier klicken), das insbesondere an die vor einigen Jahren erschienene Darstellung des New Yorker Historikers Benjamin Carter Hett anknüpft (hier klicken).

Die Theorie von der Alleintäterschaft van der Lubbes bei der Brandstifung im Reichstag am 27. Februar 1933 und mithin der Unschuld der Naziführung hatte der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (und mutmaßlich auch des britischen Geheimdienstes) Fritz Tobias (1912 bis 2011) quasi in dienstlichem Auftrag in die Welt gesetzt. Sie diente auch dem Schutz von Aktivisten des faschistischen Regimes, die in den Sicherheitsapparaten der Bundesrepublik neue Verwendung fanden. Großflächige Verbreitung fand sie zuerst in einer Serie des Magazins „Der Spiegel“ 1959/60, der 1962 ein Buch folgte. Wissenschaftliche Weihen erhielt sie vom damals aufstrebenden Historiker Hans Mommsen (1930 bis 2015), der im Zusammenspiel mit Tobias eine kritische Untersuchung durch das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) verhinderte. Tobias erpreßte dabei den damaligen IfZ-Direktor Helmut Krausnick (1905 bis 1990) mit dessen verschwiegener NSDAP-Mitgliedschaft. Er nutzte dazu als Geheimdienstmitarbeiter seinen Zugang zu den ansonsten für Wissenschaft und Medien verschlossenen Akten des US-Documentcenters in Berlin. Mit der Zeit gelang es so, der Alleintäterthese einen Verbindlichkeitsstatus zu verleihen, den zu ignorieren in der westlichen Historikerschaft kaum noch jemand bereit war.

Eine öffentliche Neubewerung einzuleiten, gelang dann um die Jahrtausendwende. Dazu trug maßgeblich ein Text bei, den der Reichstagsbrandforscher Hersch Fischler mit mir als Co-Autor in der Schweizer „Weltwoche“ veröffentlichte (hier klicken) und der dann dem „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein (1923 bis 2003) erhebliche Schwierigkeiten bereitete (hier klicken).