Überprüfung nun möglich

Ermittlungen zum Reichstagsbrand 1933: Am 25. Januar wurden die sterblichen Überreste des Marinus van der Lubbe ausgegraben. Ein Gerichtsmediziner untersucht sie jetzt

Marinus van der Lubbe

Am 25 Januar 2023 ist es endlich geschehen: Auf dem Leipziger Südfriedhof wurden die sterblichen Überreste von Marinus van der Lubbe (1909 bis 1934) ausgegraben, jenes damals jungen Mannes aus Holland, der als Brandstifter des Reichstags 1934 hingerichtet worden ist. Van der Lubbes Knochen wurden Proben entnommen, die jetzt der Leipziger Gerichtsmediziner Carsten Babian untersucht. Vor allem soll geprüft werden, ob sich eine Vergiftung van der Lubbes nachweisen läßt. Im Reichstagsbrandprozeß vor dem Reichsgericht 1933/34 in Leipzig und Berlin war Beobachtern ein fast durchgängich apathisches Verhalten des Holländers aufgefallen. So entstand der Verdacht, van der Lubbe könnte mit dem Essen Scopolamin verabreicht worden sein, ein Wirkstoff, der Apathie-Zustände auszulösen vermag. Die Leipziger Paul-Benndorf-Gesellschaft, die sich um historische Grabanlagen in ihrer Stadt kümmert, hat eine Untersuchung im Einvernehmen mit der Stadt Leipzig jetzt möglich gemacht.

Schon vor mehr als 20 Jahren hatte Otto Prokop (1921 bis 2009), einer der weltweit führenden Rechtsmediziner, im Gespräch mit mir den Nachweis einer Vergiftung für möglich gehalten. Nichts sei sicher, aber man solle es versuchen, sagte Prokop damals.

Über die Exhumierung van der Lubbes konnte als erster der Journalist und Buchautor Uwe Soukup im Wochenblatt „Die Zeit“ berichten. Themen seiner zweiseitigen Darstellung sind die Genese der These vom Alleintäter van der Lubbe (hier klicken, Achtung Bezahlschranke) und die Unmöglichkeit ihrer Wahrhaftigkeit. Dazu hat Soukup jetzt auch ein Buch vorgelegt (hier klicken), das insbesondere an die vor einigen Jahren erschienene Darstellung des New Yorker Historikers Benjamin Carter Hett anknüpft (hier klicken).

Die Theorie von der Alleintäterschaft van der Lubbes bei der Brandstifung im Reichstag am 27. Februar 1933 und mithin der Unschuld der Naziführung hatte der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (und mutmaßlich auch des britischen Geheimdienstes) Fritz Tobias (1912 bis 2011) quasi in dienstlichem Auftrag in die Welt gesetzt. Sie diente auch dem Schutz von Aktivisten des faschistischen Regimes, die in den Sicherheitsapparaten der Bundesrepublik neue Verwendung fanden. Großflächige Verbreitung fand sie zuerst in einer Serie des Magazins „Der Spiegel“ 1959/60, der 1962 ein Buch folgte. Wissenschaftliche Weihen erhielt sie vom damals aufstrebenden Historiker Hans Mommsen (1930 bis 2015), der im Zusammenspiel mit Tobias eine kritische Untersuchung durch das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) verhinderte. Tobias erpreßte dabei den damaligen IfZ-Direktor Helmut Krausnick (1905 bis 1990) mit dessen verschwiegener NSDAP-Mitgliedschaft. Er nutzte dazu als Geheimdienstmitarbeiter seinen Zugang zu den ansonsten für Wissenschaft und Medien verschlossenen Akten des US-Documentcenters in Berlin. Mit der Zeit gelang es so, der Alleintäterthese einen Verbindlichkeitsstatus zu verleihen, den zu ignorieren in der westlichen Historikerschaft kaum noch jemand bereit war.

Eine öffentliche Neubewerung einzuleiten, gelang dann um die Jahrtausendwende. Dazu trug maßgeblich ein Text bei, den der Reichstagsbrandforscher Hersch Fischler mit mir als Co-Autor in der Schweizer „Weltwoche“ veröffentlichte (hier klicken) und der dann dem „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein (1923 bis 2003) erhebliche Schwierigkeiten bereitete (hier klicken).